Kollegs(er)leben – davor und danach

Dabeisein und doch nicht ganz dazugehören, das war für viele “Externe” die Realität, ganz besonders in einer Zeit, als “Externe” in der Minderheit waren. Sie waren zu Hause, und dann doch wieder am Kolleg, und konnten vom ausserschulischen Programm mit etwas Organisationstalent profitieren. Wie prägend das war, erzählt dieser Beitrag von Michael Ehret.

Eigentlich gibt es in meinem Kollegsleben, oder besser Kollegserleben, Eindrücke und Erlebnisse davor und danach.

Anfang der 50er Jahre trat mein Vater Hubert Ehret in den Dienst am Kolleg als Kirchen- und Schulmusiker. Die damals noch kleine Familie fand eine Bleibe in der „Bleiche“,  heute das Musikhaus. Erste Kindheitseindrücke waren die großen Kohlehaufen vor dem Südflügel, eine Sägerei und der Hühnerstall zwischen Bleiche und Forsthaus; bei späterem Gang in den Kindergarten St. Blasien dann auch zahlreiche akustische Eindrücke des Lebens hinter den Klostermauern aus den Klassenzimmern im Südflügel, oder zur Mittagszeit um den Nordturm.

Das Kolleg war aber nicht nur räumlich, sondern tagtäglich in unserem Elternhaus präsent. Kinderohren vernahmen nicht nur Schönes, sondern auch Mühseliges vom Kolleg.

Mit dem Übergang in das Gymnasium, nolens volens natürlich im Kolleg, wurde das bisher Gehörte Realität, und vor allem erlebte man Veränderungen an sich, aber auch im Umfeld zunehmend  bewusster. Üblich war damals noch eine schriftliche und mündliche Aufnahmeprüfung, gleichsam der Ersatz der heutigen Schulempfehlungen. 

In den folgenden Gymnasialjahren von Sexta bis zur Oberprima sollte vieles nicht mehr so sein, wie es anfangs war. Eine Konstante gab es auf jeden Fall, der Kollegswecken zur großen Schulpause. Bei Regenwetter große Pause auf den Sheds, heutige Ostflügel, hinter einem Drahtverhau. Turnen, Theater, Konzerte in der alten Turnhalle im Osthof, heute abgerissen. Patres in schwarzer Umwandung mit weißem Kragen. Eindrücklich auch die Maiandachten im Wald Richtung Lehenkopf.

Wie war es dann Anfang des Siebziger?

Zum Kollegswecken kam noch der Milchverkauf. Der Ostflügel war in der Planung, das Hallenbad war gebaut, die alte Turnhalle stand noch. Die Patres trugen jetzt meist Alltagskleidung. Die Maiandacht im Wald fand nicht mehr statt. Orchestermessen nur noch an hohen Festtagen, dafür sogenannte Beat- oder Jazzmessen in wechselnden Formationen. Erst mit Gospels, später auch mit sogenanntem Neuen Geistlichen Liedgut. 

Die Musik am Kolleg war nicht nur durch die Praxis im Chor, Orchester, Blechkapelle, und das Üben in der Musikabteilung (damals neben dem Hallenbad ) an diversen Instrumenten geprägt. Aus den Kellern waren auch rockige und jazzige Töne zu hören. Das Equipment der Band bestand oft nur aus zusammengebastelten alten Röhrenradios, billigen elektrischen Gitarrenhobel und technischer Improvisation. Irgendwie aber auch Kult.

Politisches Bewusstsein der Schülerschaft war durch die 68- Bewegung geweckt. Denkwürdig ein Abend mit dem Sozialistischen Studentenbund (SDS) aus Freiburg, moderiert von Nikolaus Brender. Eine chaotische Diskussion, die mit dem Hinweis auf das Hausrecht durch den damaligen Rektor Pater Kiefl beendet wurde. Schulstreik wegen Ungleichbehandlung von Junger Union und Jungsozialisten. Einführung der Schülermitverwaltung.

War der Abschied nach bestandenem Abitur in den Sechzigern noch eine feierliche Schulversammlung in der Aula mit Zeugnisübergabe, Festreden und Orchester, so war unser Abschied 1971 in Folge modernistischer Zwänge sehr nüchtern. Immerhin noch ein gemeinsames Abendessen. Heute tut es so manchem leid, und die heutige Kollegsgemeinschaft ist auch wieder diesbezüglich zu den schönen Formalien zurückgekehrt. 

Nach dem Abitur habe ich die weiteren Geschehnisse am Kolleg, z.B. Kollegsbrand und Wiederaufbau, wiederum über das Elternhaus miterlebt. 

Aus der Sicht eines heute 70 Jährigen ist vieles natürlich verklärt. Die seelischen Nöte als Internatsschüler habe ich nicht kennengelernt, meine Kinder sind alle zu Hause aufgewachsen. Jedoch fand meine Jugendzeit auch neben der Schule im Kolleg statt, und viele Freundschaften habe ich dort gefunden.

Gerne kommt unser Jahrgang zum Altschülertreffen und vor allem auch zum Klassentreffen, das der Jahrgang 1971 bis heute durchgehalten hat.

(Foto: Altkollegianer Wolfgang Stahl)

Autor

  • Michael Ehret

    Nach dem Abitur 1971 und der Ableistung des Wehrdienstes studierte Michael Biologie bis zum Vordiplom, danach Studium der Humanmedizin an der Universität Freiburg mit Promotion und Approbation 1981. Es folgten Weiterbildungen in Innerer Medizin und Chirurgie und Zusatzweiterbildungen in Sportmedizin und Betriebsmedizin. Bis 2021 arbeitete Michael als Facharzt für Allgemeinmedizin in Villingen- Schwenningen, nebenberuflich als Organist und Chorleiter in Dauchingen. Er ist verheiratet und hat drei Söhne.