Das Kolleg – Der Erzieher – Der Pädagoge

Altkollegianer Johann Wilhelm Römer (Abi 1958) erinnert sich dankbar und wertschätzend an herausragende Persönlichkeiten seiner Kollegszeit: Pater Faller, Pater Fiala und Pater Adamek.

Seine Begegnungen mit ihnen wirken nach. Bis heute.

Das Kolleg

P. Faller SJ

Als ich 1949 in der Sexta die Schulbank drückte, war ich davon überzeugt, daß nach dem lieben Gott PATER FALLER einer der bedeutendsten Menschen auf der Welt ist. Ihm begegnete ich mit wirklicher Ehrfurcht, wobei die Betonung gleichermaßen auf beiden Worthälften lag. Wenn seine große, aufrecht schreitende Gestalt, um deren Lippen immer ein feines, wissendes Lächeln spielte, am anderen Ende einer der langen Kollegsgänge erschien, musste ich mich beim langsamen gegenseitigen Annähern fest darauf konzentrieren, ihn nicht mit „gelobt sei Jesus Christus“ sondern mit einem zaghaft gemurmelten „Grüß Gott P. Faller“ zu begrüßen.

Nein, Geschichten erzählte man sich bei uns nicht über P. Faller. Dafür waren die persönlichen Begegnungen von uns ganz jungen Kollegianern mit ihm wohl auch nicht intensiv genug. In unseren Kreisen kursierten auch keine Anekdoten über ihn. Allenfalls flüsterte man sich hinter vorgehaltener Hand zu: „ Der ist unheimlich gescheit, der weiß alles über Gott, spricht alle Sprachen und ist der beste Freund vom Papst“. Und es gab keine Zweifel daran, dass dies alles der Wirklichkeit entsprach, denn es wurde ja schon dadurch bewiesen, dass P. Faller für das Kolleg direkt vom Papst die berühmten Papstwecken bekam, etwas übergroße, aus blütenweißem Mehl gebackene Wecken, die für uns Kriegskinder ein kulinarischer Höhepunkt im wöchentlichen Einerlei der Kollegsküche waren.

Ja, P. Faller war das Kolleg. Zu ihm stand man – ohne Wenn und Aber,  und vor allem, ohne sich wichtigtuerisch in Szene zu setzen. Das war für alle selbstverständlich, weil man sich einer gemeinsamen Sache und einer bemerkenswerten Persönlichkeit verpflichtet wusste.

Der Erzieher

P. Fiala SJ

An PATER FIALA kam keiner von uns vorbei. Er war während unseres Aufenthalts im Kolleg unser akzeptierter Ersatzvater. Zu ihm entstand sogar eine gewisse emotionale Bindung: Nicht, dass man sich ihm aufdrängte, sondern eher nach dem Grundsatz „gehe  nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst“ – aber er war in Ordnung. Daraus erwuchsen seine selbstverständliche Autorität, auch ein Vertrauensverhältnis. Man akzeptierte in aller Regel irgendwie seine erzieherischen Maßnahmen, hörte auf ihn und ließ sich von ihm in die Pflicht nehmen.

Er hatte ein gutes Gespür für seine Internatsbuben. Meine Mutter erzählte immer wieder einmal von einer Begegnung bei den in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Gesprächen der Eltern mit P. Fiala über ihren Sohn, die natürlich ohne den Betroffenen stattfanden. Meine Mutter hat bei einer solchen Gelegenheit ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht, daß ihr Bub zuhause halt so gar nichts von St. Blasien erzähle. P. Fiala hat darauf nur kurz und knapp geantwortet: „Dem lohnt es halt nicht“. Mit wie viel Heiterkeit meine Mutter diese Eröffnung ertragen hat, wollen wir hier nicht weiter vertiefen. Der Satz beweist aber, dass P. Fiala eine Menge Einfühlungsvermögen in die Gemütsverfassung eines Jünglings in den besten Flegeljahren hatte: Solche Phasen muss man gelassen aushalten und sie behutsam begleiten  –  eine Erfahrung auch für nachfolgende Generationen.

Mich selbst verbindet mit P. Fiala eine ganz unspektakuläre aber sehr persönliche Begegnung. Es war wohl in der Sekunda und ich musste dort einen für diesen Lebensabschnitt nicht untypischen Durchhänger gehabt haben, der einem sensiblen und aufmerksamen Begleiter wohl auffallen musste.  In Frust und Unlust versunken schleppte ich mich in einer Unterrichtspause auf die Sheds. Unerwartet sprach mich plötzlich P. Fiala von der Seite an, den ich bis zu diesem Augenblick überhaupt nicht bemerkt hatte. Nach einem kurzen  Frage- und Antwortspiel stellte er sachlich fest: „Aus dir wird einmal etwas“. Damit war das Gespräch beendet und P. Fiala verschwand von meiner Seite. Mich ließ er ziemlich ratlos zurück. Aus meinem „seelischen Tief“ hatte ich damals wohl bald herausgefunden, aber das Erlebnis wirkte nach. Der ganz ungewöhnliche, unübliche und eigentlich schon fast unzulässige Satz – wie darf ich mich so in die Zukunft eines Menschen hineindrängen  –  war weit mehr, als das schulterklopfende, über einen Tag hinwegtröstende „Du-schaffst-das-schon“.  Es war eine Feststellung, ganz selbstverständlich und unaufgeregt, ohne jedes Pathos und schon gar nicht mit einem visionären Anspruch. P. Fiala bekannte sich ganz offen dazu, daß er an mich glaubte. Gerade darin lag die Langzeitwirkung: Dieses Erlebnis hat mich in meinem Leben immer wieder einmal eingeholt, gerade dann, wenn ich es mir eigentlich ein bisschen gemütlicher und bequemer machen wollte. Ob P. Fiala heute seine Feststellung als erfüllt bewerten würde, weiß ich nicht, aber sie hat mich immer wieder in die Pflicht genommen.

Es musste schon eine besondere Ausstrahlung von einem Mann ausgehen, wenn ein einziges kurzes Gespräch eine so nachhaltige Wirkung auf einen anderen hat. Es unterstreicht aber auch die Souveränität und Großmütigkeit von P. Fiala, ein Stück seiner eigenen Reputation zu riskieren, wenn es um seine Buben ging. Ja, auch der Erzieher P. Fiala hat wesentlich zum weit über St. Blasien hinausreichenden guten Ruf des Kollegs beigetragen.

Der Pädagoge

P. Adamek SJ

PATER ADAMEK  war ein Allrounder. Er begleitete im Laufe seiner Kollegszeit bis ins hohe Alter die unterschiedlichsten, wichtigsten Positionen in der Schule und im Internat.

Aber hauptsächlich war er sicher Lehrer. Ich sehe ihn immer noch auf dem Tisch der ersten Bank sitzend, von wo er gütig, geduldig, einfühlsam aber durchaus auch mit unerbittlicher Strenge und Konzentration seine Stunden durchzog. Er konnte in nahezu allen Fächern einspringen, wenn über kürzere oder längere Zeit ein Lehrer ausfiel. Bei ihm war deshalb Griechisch nie nur Griechisch, sondern immer auch Geschichte, Philosophie, Religion. Er schaffte es sogar, zur Mathematik lebenspraktische Bezüge herzustellen. Wir haben sicher manchmal bei ihm gestöhnt, aber er hat nicht nur gefordert, sondern auch gefördert. Vieles ist bei ihm im Gedächtnis hängen geblieben. Lernen war bei ihm wirklich auch mit einem Stück interessierter und neugieriger Freude verbunden. Schule machte bei ihm irgendwie Spaß. Vielleicht lag es daran, daß er fächerübergreifend, ganzheitlich Wissen vermittelt hat. Er hat Wissensbereiche, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, miteinander verknüpft und Einsichten vermittelt. Erst viel später ist mir klar geworden, daß P. Adamek ganzheitliches Lernen schon praktiziert hat, als das noch keineswegs Inhalt von Curricula war. Dank P. Adamek weiß ich, daß nicht derjenige der Gescheiteste ist, der die meisten Vokabeln kennt und die unterschiedlichsten mathematischen Funktionen ableiten kann,  sondern derjenige, der unterschiedliche Bereiche miteinander zu verknüpfen versteht, Zusammenhänge erkennt und so über den Tellerrand hinaus Entscheidungen zu treffen vermag. 

Aus meiner Sicht war P. Adamek der wichtigste und bedeutendste Pädagoge in meiner Schulzeit. 

Fotos: SJ-Bild

Autor

  • Johann Wilhelm Römer

    Johann Wilhelm, geboren 1938 in Berlin, wuchs in Kaiserslautern auf, bevor er seine Kollegszeit von 1949 bis 1958 in St. Blasien verbrachte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete er ab 1966 als Justitiar im Ministerium für Wirtschaft und Verkehr des Landes Rheinland-Pfalz und war ab 1969 persönlicher Referent, dann Leiter des Ministerbüros. Ab 1973 war er Landrat des Landkreises Daun, ab 1977 des Landkreises Mainz-Bingen. Es schloss sich 1985 erst das Amt des Staatssekretärs im Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz an, ab 1987 im Ministerium für Umwelt und Gesundheit Rheinland-Pfalz. 1990 bis 2001 war Johann Wilhelm Generalssekretär des Deutschen Roten Kreuzes mit Sitz in Bonn, nach der Vereinigung des Deutschen Roten Kreuzes mit dem Roten Kreuz der DDR mit Sitz in Berlin. Ab 1993 arbeite er auch als Rechtsanwalt, nach dem Eintritt in den Ruhestand ist er Autor der kürzlich mit dem 2. Band im Buchhandel erschienenen „Römer-Briefe“. Johann Wilhelm erhielt das Bundesverdienstkreuz Am Bande und 1. Klasse sowie weitere nationale und internationale Orden, Ehrenzeichen und Ehrenmitgliedschaften. Er ist Vater von drei verheirateten Kindern, Großvater von neun Enkelkindern und einer Urenkelin.